Erkenntnisse von den Medientagen München 2016 (1/2)
Social Media als Nachrichtenquelle und die Konsequenzen für Medienhäuser
Am 27. Oktober 2016 moderierten wir auf den Medientagen München den Social Media-Tag. Das Ziel war, das Spannungsfeld zu durchschreiten, das durch Social Media auf zwei Ebenen entstanden ist: Auf der einen Seite bei der Distribution, das heißt bei den Medienunternehmen. Denn traditionelle Medienunternehmen tun sich immer noch schwer, Social Media als Distributionskanal wahrzunehmen, wohingegen neue, born digital Medienunternehmen schon lange in diesem System leben und es ganz natürlich navigieren. Das gleiche gibt es auch auf der User-Seite: Traditionelle Leser überlegen noch, inwieweit sie ihren Konsum auf Social Media verlegen – für junge Leser ist das schon selbstverständlich. So ist der jüngsten Ausgabe der Digital News Initiative zu entnehmen, dass schon 46% der Befragten weltweit Social Media als Nachrichtenquelle nutzen. Einer von zehn nennt es als seine Hauptquelle. Bei den Jungen zwischen 18 Uhr und 24 Jahren sind es sogar 28%, die sagen, dass Social Media ihre Hauptnachrichtenquelle ist. Übrigens inzwischen vor TV, das nur 24% nennen.
Es ist also dringend an der Zeit, sich ausführlich diesem Feld zu widmen. Wie gingen wir vor? Zunächst behandelten wir, wie sich Social Media als Nachrichtenquelle für Millennials – und solche die sich ähnlich verhalten – inzwischen etabliert hat. Danach diskutierten wir die Frage, was das für Konsequenzen für die Medienhäuser hat. Anschließend ging es noch einmal vertieft um die strategische Frage nach dem „Distributed Content“, dem wir in ein Streitgespräch widmeten. Nach der Mittagspause gingen wir ganz praktisch auf Social Media Tools im journalistischen Alltag ein. Abschließend kamen wir dann zu einem etwas abstrakten aber sehr wichtigen Block: Wo führt uns das alles hin, wenn wir selbst – mit Hilfe von Algorithmen – die Kuratoren sind und die Redakteure von dieser Aufgabe entbunden werden? Oder was passiert, wenn sich die Algorithmen verselbständigen und sich von der Personalisierung ablösen – wer hat dann noch Meinungsmacht?
Was waren nun die Haupt-Erkenntnisse dieses Tages? Lesen Sie sie in unserem zweiteiligen Bericht nach:
Teil 1: Der Vormittag stand unter dem Thema„Social Media als Nachrichtenquelle und die Konsequenzen für Medienhäuser“
Sandra Thier, Geschäftsführerin von diego5, einem Unternehmen, das Video-Inhalte und YouTube-Stars produziert, sagte dass sich auch in der Mediennutzung der Millennials nicht geändert hätte, das Geschichten im Vordergrund stehen. Das Einzige, was sich geändert habe, sei das Medium, auf dem diese Geschichten erzählt werden. Dementsprechend sei auch das Storytelling anders, es werde weniger Wert auf Professionalität, aber mehr auf Authentizität gelegt. Sie brachte ein ihrer YouTube-Stars mit, Joanna Zhou, Österreich größte YouTuberin. Interessant war hier, dass sie erzählte, dass sie bei ihren Usern festgestellt, dass diese Youtube, Snapchat und Instagram gleichzeitig nutzen und auch cross-Platform kommunizieren. Wenn Sie also etwas auf YouTube postet, bekommt sie Antworten darauf auf Snapchat und zusätzliches Material auf Instagram, und zwar innerhalb von 10 Minuten nach dem Upload. Sie sei weiterhin erschrocken, wie viel Einfluss man als Influencer hat. Als ältere (31 Jahre) Influencerin habe sie nun ihre moralische Pflicht entdeckt, auch über ernsthafte Themen zu reden und so ihre Community zu informieren und motivieren.
Foto: Medientage München 2016
Rasmus Kleis Nielsen, Forschungsdirektor am Reuters Institut für Journalismus an der Universität von Oxford, präsentierte die neueste Fassung des Reuters Digital News Report. Zu den für mich interessantesten Erkenntnissen gehörte, dass er Facebook als die größte News Organisation weltweit und in der Menschheitsgeschichte bezeichnete. Denn 44% der Internetnutzer weltweit nutzen Facebook für den Nachrichtenkonsum. Interessant weiterhin, dass 36% der Befragten den Algorithmus als guten Weg, um an Neuigkeiten zu kommen, ansehen. Demgegenüber sehen nur 30% Redakteure und 22% Freunde als verlässliche Informationsquellen an. Dabei sind die Leute nicht naiv bezüglich der für den Algorithmus notwendigen Datensammlung. Ihre Bedenken stellen sie aber hinten an zugunsten dem Gefühl, nichts zu verpassen und der Bequemlichkeit des Nachrichtenkonsums via Algorithmus.
Weiterhin ging er davon aus, dass Facebook strategisch mehr professionellen Content in den Newsfeed einspeisen wird, da seine weltweiten Untersuchungen gezeigt haben, dass das Engagement und das Teilen durch die Nutzer höchstens stabil ist. Überraschend allerdings, dass seine Untersuchungen ebenfalls ergaben, dass das Wachstum von Online-Video sehr viel langsamer war als gedacht.
Foto: Medientage München 2016
In der anschließenden Diskussion mit Lisa Ludwig, Chefredakteurin von Broadly Deutschland (einem Vertical von Vice Media), und Matthias Walter, dem Chefredakteur der RTL 2 News, ging es sehr viel um die Geschäftsmodelle, die Social Media den Medienunternehmen eröffnet. Matthias Ludwig erklärte, dass sich für ihn Social Media auszahle dadurch, dass seine Reichweite über die klassische RTL2-Reichweite hinaus ausgedehnt werde. Diese brächte zusätzliche Klicks auf seine Webseite, die er über Werbung monetarisiert. Rasmus Kleis Nielsen hingegen malte ein fragmentiertes Bild für die Zeit nach der Werbefinanzierung: Er sieht Beiträge der Leser bzw. User als wesentlich Einkommensquelle. Dafür müsse aber jedes Medienhaus sich die Frage stellen, welche Mission es habe und welches Problem es so gut für seine Nutzer lösen wolle, dass die dafür bereit seien zu zahlen. Ferner sieht er eine Chance mit neuen Formen der Werbung, die nicht das übliche Programmatic sein. Insbesondere nannte er dabei Native Advertising. Als weitere Umsatzquellen sieht er Services, die auf Journalismus beruhen, wie zum Beispiel Consulting für das Medienumfeld des 21. Jahrhunderts, Merchandising, eCommerce oder Events. In der Summe, so sagt er, ginge zukünftig deutlich weniger Geld in den professionellen Journalismus und damit sei es zwingend notwendig, auch Kostenstrukturen anzupassen. Eine Auffassung, die wir auch schon seit Längerem vertreten…
Foto: Medientage München 2016
Im Anschluss gab uns Adnan Sarwar, im Community-Team des Economist, einen Überblick darüber, wie sie mit nur 10 Mitarbeitern weltweit alle wichtigen Social-Media-Kanäle intensiv bespielen. Interessant hier vor allem, wie das Team mit überschüssigem Material neue Formate erfunden hat, die es dann auf Social Media ausspielt – wie z.B. ein Format namens „What they say – what they mean“. Weiterhin auffällig: Der Economist traut sich, selbst auf Instagram ernsthafte, tiefe Themen zu bringen. Überhaupt schafft der Economist für jeden Kanal unterschiedliche, abgeleitete Formate, die für sehr große Brand Awareness sorgen. Beispiele dafür sind sogenannte „fact cards“ oder „on this day“, ein Format, in dem kleine Informationsstücke auf den jeweiligen Kanälen verteilt werden. Ein Klick auf die Homepage kommt dabei allerdings eher seltener zustande. Bemerkenswert war weiterhin, dass der Economist LinkedIn als eigene Zeitung behandelt. Dabei hält das Team eine 24 Stunden-Planung ein, bei der in Zwei-Stunden-Abständen immer neue Themen auf dem LinkedIn-Kanal des Economist gepostet werden.
Wie es am Social Media-Tag bei den #mtm16 weiterging lesen Sie schon bald in unserem Teil 2!