Erkenntnisse von den Medientagen München 2016 (2/2)

_MEDIATE Gründerin Prof. Dr. Katja Nettesheim hat den Social Media-Tag der diesjährigen Medientage moderiert. Für alle, die nicht dabei sein konnten oder noch einmal nachlesen möchten fassen wir hier die wesentlichen Erkenntnisse und Praxistipps für Medienunternehmen zusammen.

Social Media Tools für das journalistische Arbeiten – Hot Stuff oder Lame Duck?

Nach der Mittagspause ging es in unserer Praktiker Runde. Zunächst berichtete Andreas Rickmann, Leiter Social Media der Bild, über seine Facebook-Erfahrungen. Diese bündelte er in 5 Tipps:

  1. gute Inhalte bieten
  2. die zur Verfügung stehenden Analysetools wie zum Beispiel Facebook Insights nutzen, vor allem wenn man mit Facebook live experimentiert.
  3. Gehe zum Nutzer und höre ihnen zu (das bezieht sich auch auf das Nutzungsverhalten, das heißt er propagiert stark, von der Plattform hier zu denken).
  4. Bei aller Datengetriebenheit müsse man immer mehrere Metriken zusammen auswerten und auch seine eigenen individuellen Metriken entsprechend der Strategie definieren.
  5. Ja, datengetrieben, aber die Inhalte immer auch auf Basis von journalistischen Grundsätzen erstellen.

 

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Foto: Medientage München 2016

 

Sascha Borowski, Leiter Digital der Augsburger Allgemeine, berichtete von dem Betrieb seines WhatsApp Account für die Augsburger Allgemeine. Er versendet dort Fünf bis zehn Nachrichten pro Tag an 4100 Nutzer über insgesamt vier Kanäle. Dies seien zwar keine großen Zahlen, WhatsApp sei aber dennoch wichtig für die Augsburger Allgemeine durch die damit hergestellten Nähe zum Leser, das Generieren von loyalen Nutzern, die Existenz eines Rückkanals zum User und als Kundenbindungskanal. Denn er stellte fest, dass es sehr wenig Abgänge bei Whatsapp gebe, und 50 bis 100 Nutzer kommen pro Woche hinzu. Seine Tipps:

  • Automatisieren
  • Eine schnelle Response bieten
  • Auf jeden Fall vorsichtig kommunizieren, denn man sende an einen sehr privaten Raum.

Interessant, so Sascha Borowski, sei auch, wie freundlich die Community auf WhatsApp sei. Es käme sehr selten zu Trolling und Beleidigungen. Zudem sei das Sharing überproportional (beim ZDF wird eine WhatsApp 10 mal geteilt), aber die Klickraten sind gering.

 

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Foto: Medientage München 2016

 

Die Dritte im Bunde war Hanna Lauwitz, Social Media-Redakteurin des ZDF. Sie berichtete über ihre Erfahrungen mit Snapchat. Sehr schön fand ich ihre Formulierung, Snapchat erlaube „experimentieren ohne Nachwirkungen“. Auf den Einwand ihrer Kollegen, das lohnt sich ja gar nicht, etwas zu produzieren, das nur 24 Stunden hält, antworte sie immer, dass ja auch niemand in der Zeitung die Nachrichten von gestern sehen wolle. Ihre Tipps:

  • Personalisierte Accounts verwenden wegen der Bindung der User und der eigenen Handschrift
  • Klar machen, dass der Journalist so selber zur Rampensau werden müsse
  • Bei größeren Themen tatsächlich ein Storyboard entwerfen, das nicht nur für Snapchat, sondern auch für andere Plattformen als übergreifende Basis funktionieren kann.

 

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Foto: Medientage München 2016

 

Die Diskussion in der Folge beschäftigte sich zumeist mit dem neuen und daher ungemein spannenden Kanal Snapchat. Andreas Rickmann betonte noch mal, dass Snapchat auf keinen Fall als Resterampe verwendet werden solle, sondern es seien neue Erzählformen nötig. Schön sei, dass man hier auch mal Quatsch machen könne, man müsse die Nutzer aber an die Hand nehmen. Er begrüßte auch die Perspektivenvermischung zwischen Redaktion und dem Ereignis, so dass in einer Snapchat-Story sowohl das Ereignis selbst, als auch das Making-Of abgebildet werden kann. Auf eine Frage aus dem Publikum, welcher Aufwand dafür betrieben werden müsse, sagte Hanna Lauwitz, dass schon 20 Minuten am Tag zu Beginn genügen würden, um sich mit dem Medium vertraut zu machen. Insgesamt war dies ein sehr lebendiges, und sehr Mehrwert-bezogenes Panel, das bei dem Publikum extrem gut ankam und mir auch einige neue Erkenntnisse gebracht hat.

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Bestimmt das Ich die Medien? Kuratierung zwischen Redaktion und Algorithmus

Als krönenden Abschluss begaben wir uns noch einmal in eine große Podiumsdiskussion zum Thema: „Bestimmt dass Ich die Medien? Kuratierung zwischen Reaktion und Algorithmus“. Ausgangspunkt war der Vorwurf, der im US Vorwahlkampf laut wurde, Facebook würde konservative Meinungen unterdrücken und so Hillary Clinton einen Vorsprung verschaffen – ein Vorwurf, der durch die Realität inzwischen leider überholt wurde. Auf der anderen Seite beeinflusst jeder Nutzer durch seine Präferenzen und Aktionen die Art der Inhalte, die ihm oder ihr ausgeliefert werden. Ein Phänomen, das gemeinhin als „Filterblase“ bezeichnet wird und vor allem dann schwierig ist, wenn den Menschen diese Selektion nicht bewusst ist.

 

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Foto: Medientage München 2016

 

Prof. Dr. Sophie Mützel von der Universität Luzern machte uns in ihrem Impulsvortrag noch auf einen weiteren Effekt aufmerksam: Es ist nicht nur das Ich, das die Nachrichtenauswahl bestimmt, sondern auch die Freunde und sogar die Freunde von Freunden, die mitbestimmen, welche Nachrichten ich angezeigt bekomme. Das Ich, so sagt sie, sei also ein Plural. Die Filterblasen seien inzwischen schon so perfektioniert, dass Nutzer mit unterschiedlichen politischen Anschauungen auch bei sonstiger, insbesondere räumlicher, Nähe quasi überschneidungsfreie Newsfeeds haben. Dies führe zu einer Zuspitzung der Meinungen (dem sogenannten „Echokammer-Effekt“), die inzwischen auch bei Facebook zu Nachdenken über Gegenmaßnahmen angeregt habe. In der nachfolgenden Diskussion ging es vor allem darum, ob und was man als Medienhaus – oder auch als Einzelner – gegen diese Effekte tun kann. Michael Jarjour von Blende und Marcus von Jordan von piqd hatten eine einfache Antwort darauf: Für den Nachrichtenkonsum nicht Facebook, sondern ihre jeweiligen Angebote zu nutzen. Julia Bönisch, stellvertretende Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung, ging mit den traditionellen medienangeboten hart ins Gericht: Basierend auf den von Rasmus Kleis Nielsen am Vormittag präsentierten Erkenntnissen meint sie, man habe es hier auch deutlich mit einem Produkt-Problem der etablierten Angebote zu tun: Mangels Convenience treibe man die User in Facebooks Arme.

 

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Foto: Medientage München 2016

 

Weiter ging es in der Diskussion darum, was sonst jeder Einzelne noch tun kann gegen die Filterblase. Einig war man sich, dass man Facebook nicht als gegeben hinnehmen dürfe, sondern von der Opfer- in die Schöpferrolle kommen müsse. Das gilt für Medienunternehmen genauso wie für das Individuum. Gemeinsam entwickelten wir einige Lösungsansätze, den Algorithmus zu gestalten, u.a. dadurch, dass man bewusst Leute liked, die andere politische Auffassungen haben, um auch Teile von deren Newsfeed mitzubekommen. Die Gegenmeinung lehnte das aber ab, mit dem Argument, dass man solche Leute nicht sein eigenes Profil mitbestimmen lassen wolle. Eine weitere Idee war, mit Hilfe von Mitteln einer Journalismus-Stiftung eine App zu entwickeln, die wiederum den Facebook-Algorithmus durchbreche und der Kuratierung widersprechende Nachrichten und Meinungsstücke in den Newsfeed einspeist, sozusagen „Unterbrechermeldungen“. Insgesamt eine sehr lebhafte, kreative und zukunftsweisende Diskussion, die mit der gemeinsamen Mission endete, dass wir alle mehr sein wollen als Software herstellende Zellhaufen.

Das Thema ist brandaktuell! Im Video-Mitschnitt gibt es noch mehr Einblicke von den Profis!

 

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