TEDx: Digitalisierung + Unternehmensidentität => Fluidität
Das ist die Textversion des TEDx-Talks von Katja Nettesheim am 22. Oktober in Köln:
Ihr kennt das sicher auch – diese
fürchterliche Gefühl, wenn die eigene Identität, das also, was an uns beständig
und unterscheidungskräftig ist, angekratzt wird. Diese tiefsitzende Angst,
wenn das, was wir an uns für besonders halten, von der Umwelt angezweifelt wird.
Wenn mir z.B. jemand sagt: „Ach so, Du bist auch so eine von diesen Beratern ….“
Solche Erlebnisse sind möglich,
weil Identität nicht nur eine interne, selbst definierte
Komponente hat, sondern auch extern von der Umwelt reflektiert werden
muss. Denn Identität
entsteht im Dialog. Und das gilt nicht nur für Personen, sondern
auch für Unternehmen. Die sind in ihrer Identität auch abhängig von der
Wahrnehmung von Kunden, von Analysten oder Lieferanten – und vom
technologischen Umfeld.
Hier ist es v.a. die Digitalisierung,
die auf vielfältige Weise auf die Identität von Unternehmen einwirkt – drei davon habe ich mal herausgepickt: Erstens wirkt die Digitalisierung
positiv, denn sie macht Unternehmensidentitäten fluider: Durch die Digitalisierung werden Unternehmen zunehmend entmaterialisiert – weniger geprägt von
Fabriken und Werkzeugen, mehr von Menschen und Code. Zum Beispiel: Ein Hersteller
von Kunststoffteilen war bisher hinsichtlich seiner Produkte dadurch begrenzt,
welche Maschinen er in seiner Fabrik hat. In Zukunft ist diese Begrenzung
aufgehoben, da er mittels CAD-Programmen und guten Technikern Baupläne für alle
Teile dieser Welt auf die 3D-Drucker seiner Kunden schicken kann.
Zweitens wird diese
Zunahme an Gestaltungsmacht aber durch die Digitalisierung auch wieder
eingeschränkt: Denn durch die digitalen Kommunikationsmittel wie Communities,
Blogs, Bewertungsportale, etc. werden die externen
Stimmen, die die Gesamtidentität entscheidend mit prägen, deutlich lauter –
zulasten der Definitionsmacht des Unternehmens. Zum Beispiel vernimmt kaum
jemand die Mission der Deutsche Bahn bezüglich Kundenzufriedenheit und
Zuverlässigkeit, wenn dem gegenüber tausende Kommentare von verärgerten Kunden
auf der Facebook-Seite der Bahn stehen…
Und drittens führt die
Digitalisierung auch dazu, dass wir nicht mehr alle 10-20 Jahre einen technologischen
Entwicklungssprung haben, sondern ständige
Wogen des technologischen Wandels. Diese kommen in so kurzen Abständen, dass ein Unternehmen die Prozesse zur Anpassung
seiner Identität an eine neue Technologie zeitlich gar nicht mehr durchführen
kann. Kurz nach der Einführung des Internets kommt nun mobile, dann 3D-Druck,
Internet of Things, Virtual Reality und Beamen…. Dazwischen bleiben nicht mehr
5-7 Jahre, die es braucht, um die Unternehmensidentität darauf einzustellen.
Praktisch führt das in
manchen Branchen, wie z.B. der Medienbranche, dazu, dass die Digitalisierung teilweise
zu einem kompletten Identitätsverlust führt, z.B. bei Regionalzeitungen wie dem
Kölner Stadtanzeiger oder der Rheinischen Post. Schauen wir uns hier mal stellvertretend
die „Zuverlässige örtliche Zeitung“ an. Die ZÖZ war fast 60 Jahre lang
der Monopolist für Informationen im Ort. Der Verleger nahm an, dass nur das
passiert, was in seiner Zeitung steht. Genauso waren einige Redakteure der Meinung,
dass es keine andere Sicht auf die Dinge gibt als die, die sie täglich
verbreiten. Und plötzlich kam das Internet: Lokale Blogger berichten selbst
von der letzten Vereinsversammlung, die der Verleger nicht im Blatt sehen
wollte. Und auf der Webseite muss sich der Redakteur plötzlich öffentlich mit
Leserkommentaren auseinandersetzen, die er nicht – im Gegensatz zu Leserbriefen
– vorher filtern konnte. Für die Identität
der ZÖZ sowie das Selbstverständnis ihres Verlegers und ihrer Mitarbeiter stürzte
eine Welt ein!
Was kann der Verleger nun tun? Nichts tun ist keine Option, denn eine funktionierende Identität ist
unverzichtbar: Zum einen deswegen, weil wegen der externen Komponente eine
Identität auch dann entsteht, wenn man als Betroffener gar nichts macht – nur
dann eben ohne den eigenen Einfluss. Und zum anderen weil es sonst nichts gibt,
das die verschiedenen im Unternehmen wirkenden Kräfte in eine Richtung lenken
kann.
Ob der Verleger es will oder nicht, der
Aufbau einer neuen Identität – also „Identitätsarbeit“ ist für die ZÖZ zwingend
nötig. Nur, woran kann er sich dabei orientieren? Was kann in diesen extrem
dynamischen Zeiten, wo alles fließt, der eine Fixstern sein, der zu einer neuen beständigen Identität für
die ZÖZ führt? Produkt (hier also die Zeitung), Technologie (also
gedruckte Information) oder die Form des Anbieter selbst (der Verlag) – sind
nicht dauerhaft genug…. Alles viel zu statisch, viel zu fixiert.
Daher muss der Verleger eher nach flexibleren,
methodischen Ansätzen suchen. Zwei Möglichkeiten kommen mir in den Sinn: Erstens könnte die ZÖZ die Innovation selbst
als Fixstern wählen – etwa indem sie sich definiert als „diejenigen, die immer neue Wege
nutzen, um lokale Informationen zu erzeugen und zu verteilen“? Das würde
sicher den Anforderungen der Digitalisierung genügen, aber ist es auch konkret
genug für die Mitarbeiter? Und würde das der ZÖZ von den Kunden überhaupt
abgenommen?
Und zweitens – à propos Kunde: Nachdem er als externe
Kraft die Identität ohnehin wesentlich beeinflusst, liegt es doch nahe, konkreten Kunden der ZÖZ und deren
Bedürfnisse als Fixstern zu nehmen. Die neue Identität der ZÖZ könnte z.B. heißen:
„Wir geben unseren Usern alle
Informationen, die sie brauchen, um ihren Alltag in unserer Stadt gut zu
meistern, egal in welcher Art und Weise.“ Das ist konkret, gibt Orientierung und überdauert
Technologien und Produkte.
Und tatsächlich:
Viele Unternehmen, die Digitalisierung verstanden haben, definieren sich in
ähnlicher Art und Weise:
- Facebook: für Menschen nützliche Produkte um Informationen
zu teilen - Google: alles, was
nötig ist, um für unsere Kunden die Informationen der Welt zu organisieren - Selbst Microsoft: die
Produktivitätsplattform zu sein, die jede Person und Organisation
auf diesem Planeten dazu befähigt, mehr zu erreichen.
All’ diesen Identitäten ist gemein,
dass sich die Unternehmen einen Bereich
heraus gesucht haben, für den sie sich zuständig fühlen. Und in diesem
wollen sie das Kundenbedürfnis
bestmöglich erfüllen, d.h. ihren Kunden maximalen Mehrwert bieten – egal auf welche Weise. Gelingt ihnen
das, entsteht eine Übereinstimmung
von interner Definition und externer Wahrnehmung – sie haben eine funktionierende Identität
erschaffen!
Und wäre diese Lösung nicht auch etwas für uns persönlich? Wenn mich mal wieder jemand als „nichts
Besonderes“ ansieht, ist es für mich doch auch eine Lösung, mich auf das zu besinnen,
wofür ich mich in Bezug auf diese Person „zuständig“ fühle – sei es gute Arbeit
zu machen, Grenzen zu setzen oder zu unterstützen. Und dann dabei maximalen
Mehrwert zu schaffen – egal auf welche Weise. Dann wird derjenige schnell
feststellen, dass ich doch „etwas Besonderes“ bin, interne Definition und
externe Wahrnehmung sind in Übereinstimmung, und die Bedrohung meiner Identität
ist aufgehoben.
Also: „Identität entsteht im Dialog – und besteht aus Wert
schaffendem Wirken“.
Dankeschön!