Capital-Kolumne: Die 5 häufigsten Irrtümer bei der digitalen Transformation

Die digitale Transformation ist in den Köpfen angekommen – leider setzen sich aber auch Irrtümer und Missverständnisse fest. Katja Nettesheim über die häufigsten Denkfehler beim Prozess der Digitalisierung.

Haben Sie auch einen eigentlich eher halbbekannten Kontakt bei Facebook oder Instagram, von dem Sie glauben, alles zu wissen – einfach weil er so aktiv ist? Er war im Urlaub auf Bali, mag keine Bananen und hat seit einer Weile eine neue Partnerschaft (die scheint ganz gut zu laufen, denn immerhin verlinkt man sich gegenseitig auf Bildern).

Ich habe oft den Eindruck, dass es im Beruflichen vielen mit der digitalen Transformation genauso geht: Sie ist überall (fast wie die Pfanne, die wir uns bei Amazon angeschaut haben), und daher kennen wir sie natürlich quasi persönlich. Doch so wie die Beziehung unseres Facebook-Freundes in Wirklichkeit gar nicht so gut läuft, gibt es auch in der digitalen Transformation immer wieder Irrtümer oder ungenaue Annahmen, die sich schnell in den Köpfen festsetzen. Das ist gefährlich, besonders wenn dieses Halbwissen auf der strategischen Agenda landet.

Hier sind die aus meiner Erfahrung fünf häufigsten Irrtümer der digitalen Transformation:

  1. „Wir sind schon digital transformiert, immerhin haben wir keine Kosten und Mühen gescheut und unsere Mitarbeiter mit Tablets ausgestattet“
    Ein Klassiker: Digitale Transformation ist nicht das Aufstocken der Hardware. Auch wenn ein neues iPad erst einmal gut wirkt, bringt es keine digitalen Umsätze, keine agileren Strukturen und Prozesse und keinen kundenorientierten Mindset ins Haus. So leid es mir auch tut, dafür muss eine tiefergehende Veränderung her (yes, I’m looking at you, dear old strategy).
  2. „Digitale Transformation ist Chefsache. Ich bin bereit, also ist es mein Unternehmen auch.“
    Nun ja, natürlich ist der Anstoß der digitalen Transformation stark abhängig von der Leitung. immerhin fällt hier die grundlegende Entscheidung, ob der digitale Wandel es auf die strategische Agenda schafft, welche Budgets bereitgestellt werden und dann gibt es von dort natürlich noch die motivierenden Ansprachen zu Neujahr und in Geschäftsberichten … Doch von da an ist es an den Mitarbeitern, die digitale Transformation im operativen Geschäft umzusetzen. Sie leben die Veränderung und müssen daher eben gerade nicht nur mit im Boot sein. sondern dieses auch rudern. Lassen Sie die Mitarbeiter nicht zu Betroffenen werden, sondern machen Sie sie zu der Kraft, die den Wandel vorantreibt.
  3. „Wäre doch gelacht, wenn wir nicht nächstes Jahr eine digitale Kultur hier haben.“
    Nennen wir es „Digital Transformation by Pressure“: Ja, es ist wichtig für einen Transformationsprozess, dass die Mitarbeiter sich bewusst sind, dass die Veränderung unumgänglich ist, um das Unternehmen langfristig lebensfähig zu halten zu halten. Aber es ist nicht der richtige Weg, von oben die Transformation auf der Überholspur mit hohem Druck nach unten durchzupressen. Natürlich ist Bummeln keine Option, aber um die Mitarbeiter zu Beteiligten zu machen, brauchen sie etwas Raum zum Kennenlernen der neuen Situation, ebenso wie für die Entwicklung neuer Ideen und die Annäherung an den Kunden.
  4. „Wir pumpen jetzt richtig Budget rein, bauen ein digitales Produkt, das macht sich gut im Portfolio und kommt bei den Stakeholdern an.“
    Hier ein klares Nein! Die Zeiten, in denen es hieß „Der Markt wird nach der Einführung schon zeigen, ob das erfolgreich ist!“ sind durch die neuen Kommunikationswege mit den Kunden glücklicherweise vorbei. Viel Geld für nicht-validierte Ideen zu verbrennen – die in Wirklichkeit kein Kunde je wollte – ist heute nicht mehr nötig. Und das haben auch die Stakeholder verstanden. Daher kann so ein aktionistisches Vorgehen schnell nach hinten losgehen, zeigt es doch, dass der Vorstand eben gerade nicht verstanden hat, wie digital funktioniert.
  5. „Wenn nur die Mitarbeiter eine digitale Kultur und mehr Know-how hätten, wäre alles gut!“
    Jeder muss sich verändern und neu denken, auch – oder vielleicht besonders – die obere und mittlere Chefetage. Auch wenn Erfahrung in den letzten Jahrzehnten sicherlich ein großer Schatz war: dynamische Zeiten verlangen nach Entscheidungen entlang neuen Mustern. Und da ist Erfahrung und die Neigung, die Dinge weiter so zu tun wie bisher, eher hinderlich. Aus unserer Erfahrung würde ich sogar sagen: Erfahrung ist der größte Hürde für die digitale Transformation! Und über die müssen Sie und Ihre Kollegen als erste springen – in der Hinsicht ist digitale Transformation also vielleicht doch ein bisschen Chefsache.

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